Merkel, Kindeswohl und Barilla

Eigentlich wollte ich mich nicht zu Angela Merkel äußern. Dass sie sich keinen Deut für Homos interessiert war schon immer klar. Die Angst, irgendwelche Senilprovinzler_innen-Stimmen zu verlieren, wenn sie jetzt die Adoption für gleichgeschlechtliche Paare zuließe, war immer spürbar und kurz vor der Bundestagswahl auch deutlich vernehmbar.

Dieses ganze Geschiebe, Getaumel und Gestammel mit "Bauchgefühl" und "persönlicher Meinung" in der CDU/CSU, sobald es um Menschenrecht für Homosexuelle geht, hat ja nur zwei Gründe:

1. Es gibt keine sachlichen Argumente
2. Menschen, die so argumentieren sind schlicht homophob

 

1. Mit Bauchgefühl aber ohne Argumente

Selbst die verblödetsten Parlamentarier_innen haben gemerkt, dass es außer weltanschaulicher Klamotten nichts gibt, was ihre Diskriminierungspolitik stützen könnte. Dass Homos zwar Pflegekinder großziehen, Stiefkinder adoptieren, sukzessiv adoptieren, einzeln adoptieren und am Ende sogar auf dem quasi-natürlichen Weg Kinder bekommen, aber auf gar keinen Fall als Paar ein Kind adoptieren dürfen sollen, können die sich doch selber schon gar nicht mehr erklären.
Die letzte Bastion, welche den Unterschied zwischen den immerfort und ausschließlich guten Heteros und den fast immer und bis auf wenige Ausnahmen schlechten Homos zementiert, wird bis zur Besinnungslosigkeit verteidigt. Darüber schwebt immer das große Schlagwort "Kindeswohl".

Entgegen allem was wir wissen und was empirisch nachgewiesen wurde, wird gelogen und behauptet, Kindern die gleichgeschlechtlichen Eltern aufgezogen werden, ginge es verkürzt gesagt: schlecht. Die Behauptungen gehen teilweise so weit, dass homosexuellen Eltern generell unterstellt wird, Kinder zu verschwulen, zu Opfern ihres narzisstischen Egoismus zu machen oder ganz platt sexuell zu missbrauchen.
Wenn es Kindern, schwuler oder lesbischer Eltern schlechter geht, als anderen, dann hat das jedoch genau einen Grund: Nämlich die Diskriminierung die sie und ihre Eltern erleben müssen. Angetrieben durch homophobe Aussagen selbst aus Regierungskreisen, die uns deklassiert und beleidigt.

2. Angela Merkel ist homophob

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Ja verdammt! Ich muss es nun mal mit aller Deutlichkeit sagen: Angela Merkel ist homophob. Und gleich nochmal: Angela Merkel ist h o m o p h o b. Wie kann jemand öffentlich behaupten, Diskriminierung abzulehnen, jedoch im nächsten Satz die Adoption durch gleichgeschlechtlichen Lebenspartner_innen ablehnen? Dazu sind ein sehr eigensinniger Diskriminierungsbegriff und Mut zu homofeindlichen Aussagen vonnöten.
Ich habe auch keine Lust mehr zu relativieren, dass Merkel nicht so eine Schwulenhasserin sei wie Geis, Steinbach oder Reiche. Es geht nicht nur darum, dass sie die altdeutschen, konservativen Kalkleisten-Wähler_innen nicht verschrecken wollte. Das ist Quatsch, wer uns bis in die Sphären der Verfassungswidrigkeit unsere Rechte vorenthält ist homophob.

Die Wahl ist gelaufen. Was jetzt?

Es ist kaum erträglich gewesen, am 22. September die Hochrechnungen und dann auch das Endergebnis zu sehen, das nichts anderes aufzeigt, als dass eine Frau die gerade noch offen erklärt hat, dass sie nicht vorhabe, die strukturelle Diskriminierung von Schwulen und Lesben zu beenden, mit so einer erschütternden Mehrheit bestätigt wird.

Was ist das für ein Land, in dem ein teflonbeschichteter Panzer von allen "Mutti" genannt wird? Wie konnte es passieren, dass aus Kohls Mädchen keine Frau wurde, sondern eine "Mutti"!? Bei einer Wahlparty in Darmstadt waren auch ein paar schwule CDU-Wähler oder -Parteimitglieder unterwegs. Bei welchen Müttern sind diese Jungs denn aufgewachsen, dass sie bei dem fleischgewordenen Gegenentwurf zur Mütterlichkeit frenetisch Applaudieren und im Chor "Mutti macht's! Mutti macht's!" jubeln...?

 

Ich für meinen Teil bin enttäuscht und desillusioniert. Um den ersten Schreck nur ansatzweise zu verdauen, habe ich viele Schnäpse trinken müssen. Über mehrere Tage. Selten wurde in den Medien so massiv über die Ungleichbehandlung von Homos geschrieben, an niemandem ging die Diskussion vorbei. Der Tenor war immer sehr homofreundlich und die Print-Presse hat eine gute Politik gemacht, indem sie auch Fernsehdebatten in denen Hardliner_innen eingeladen waren, sehr kritisch und gut ausgewertet hat. Auch wir von Aktivist_innenseite haben in den letzten Jahren unheimlich viel getan, für ein gleichgestelltes Miteinander zu werben und uns nicht in einer subkultuerellen Blase abzukapseln. Auch ich habe an Infoständen gestanden und selbst den letzten Hillbilly versucht zu überzeugen, dass ein Ende der Diskriminierung nicht den Untergang des Abendlandes einläutet. Und was ist passiert?
Die CDU, als einzige Partei die sich offen gegen uns stellt, wurde doch gewählt. Und zwar von so vielen Leuten, dass für mich der einzige Schluss sein kann: Unsere Mühen waren umsonst. Die Mehrheit interessiert sich nicht für uns und damit müssen wir leben. Die Mehrheit findet vielleicht auch ganz gut, dass wir nicht die vollständigen Menschenrechte genießen und hat mit ihrer Wahl dazu beigetragen, dass sich von politischer Seite nichts für uns verbessert.

 

Ich habe keinen Bock mehr, mich vor solche Leute zu stellen und denen noch irgendwas zu erklären. Wir sind und bleiben die Perversen.
Meine lieben Schwestern! Nehmt diesen Titel an und lebt mit ihm. Ich werde mir eher den Mund zutackern als ein weiteres Mal öffentlich um irgendeine bürgerliche Kackscheiße zu betteln.

Suddenly: Barilla

Genau in der Woche nach der Wahl mussten wir erfahren, dass es sich beim Weltkonzern Barilla um ein mehr oder weniger religiös-fundamental homophob geprägtes und agierendes Untenehmen handelt.

Die Boykottaufrufe auf internationaler Ebene wie auch in Deutschland sind fast schon beeindruckend. Shitstorms auf allen sozialen Netzwerken, Sharepics gegen Barilla, unendlich oft geteilte Nachrichtenlinks, Leute werfen Lebensmittel in die Mülltonne, konkurrierende Unternehmen stellen ihre Homofreundlichkeit heraus und werben die Kund_innen direkt ab.
Ich hätte mir gewünscht, solch einen Sturm der Entrüstung bei Merkel auch gespürt zu haben. Liebe Lesben, Schwule, Aushilfstunten und Klick-Aktivist_innen, der geht an euch! Wo war eure Fassungslosigkeit vor drei Wochen als "Mutti" sich gegen uns gestellt hat?

barilla skandalnudeln

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Kommentare: 3
  • #1

    Fassungslose (Sonntag, 29 September 2013 15:11)

    Es tut gut, zu lesen, dass es dir genauso ging. Auch ich bin immer noch unglaublich wütend und kann nicht verstehen, wieso fast die Hälfte der Wähler eine menschenfeindliche Politik möchte... ich habe es übrigens nun auch aufgegeben, zu diskutieren. Sollen sie doch Frau Steinbach und Frau Reiche ihr Direktmandat geben, über die Grünen herziehen, die ja alles verbieten wollen (seltsam.... war es nicht die CDU, die Homosexuellen verbieten möchte, Kinder zu adoptieren??), vollkommen neutral über die AfD sprechen und mit 18 CDU wählen... ich bin auch fassungslos und sollte wohl auch einen Schnaps trinken!

  • #2

    susi (Sonntag, 29 September 2013 22:59)

    hallo, ich bin überzeugt davon, dass die wähler sicherlich (auch) wegen anderer themen merkel/cdu gewählt haben. es war ja keine abstimmung darüber wer für oder gegen die adoption durch gleichgeschlechtliche lebenspartner ist, sondern BUNDESTAGSWAHL! beste grüße

  • #3

    nora (Montag, 30 September 2013 13:29)

    Scheiße, aber (wahrscheinlich) wahr: die Grenze dessen, was an homophoben Äußerungen gesellschaftlich toleriert wird und was nicht, läuft wohl knapp oberhalb von Mutti und kurz unterhalb von Papa Barilla. Und leider nicht nur für die "Aushilfstunten", sondern auch für die meisten Lesben und Schwule.
    Immerhin dürfen sich Mutti und ihre Kinder auch nach wie vor beim CSD mitbejubeln lassen (mal abgesehen von der Berliner Ausnahme). Man kann in dieser Frage schwerlich einen „Sturm der Entrüstung“ von den Heteros einfordern, wenn selbst unter Homos der konservative schwarze Block noch als wählbar gilt. Und das ist ja nur ein Themenbereich, in dem die CDU ihre Unwählbarkeit unter Beweis gestellt hat und TROTZDEM von den Leidtragenden ihrer Politik noch Kreuzchen bekommt. Es stimmt halt doch: die dümmsten Kälber wählen ihre Schlächter selber… Prost!