Oh ja! Es geht wieder los: Die CSD-Saison ist eröffnet. Die Kampagnen starten, das Moodboard der diesjährigen Kollektion steht, und ich bin begeistert!
Nach langen Diskussionen zeigt sich der CSD Darmstadt sowohl mit seinem Motto als auch mit der Wort-Bild-Marke in einer nie dagewesenen Aufbruchstimmung!
Das Motto wird wohl nur von den wenigsten als belangloser Vielfalts-Spruch gedeutet: Nein - Dieses Motto ist eine Kampfansage und will auch so verstanden werden!
Weil es nämlich reicht! Weil sich die queeren Menschen in Darmstadt nicht mehr von der Politik abspeisen lassen wollen und weil einmal im Sommer Demonstrieren, um sich dann den Rest des Jahres
wieder mit Diskriminierung rumzuschlagen offensichtlich keine Lösung ist.
Wer beim Lesen des Mottos noch nicht glaubt, dass in Darmstadt nun ganz andere Saiten aufgezogen werden, der_die wird es dann spätestens an dem Logo erkennen: Revolutionär und dennoch mit
Augenzwinkern. Zwei Personen auf einem Einhorn, schwenken die Fahnen, mit geballter Faust den Feind_innen entgegen! Aufbruch! Jetzt kommen wir! Man sieht vor dem geistigen Auge fast schon
Straßenbarrikaden und besetzte Gotteshäuser. Es war sicher nicht leicht, nach dem Motto von 2014 ("Ich habe nichts gegen die, aber...") ein ähnlich starkes Motto zu finden und so umzusetzen. Aber
mit diesem Ding kann sich der CSD Darmstadt auch dieses Jahr wieder sehen lassen.
Was immer ein bisschen unter geht, ist das Positionspapier, das der CSD herausgibt, um darzustellen, worum es den queeren Aktivist_innen dieses Jahr vor allem geht. Der Text von 2014 hat mich
umgehauen und ich wusste noch ein bisschen genauer als zuvor, weshalb ich auf die Straße gehe.
Deshalb war also meine Spannung mehr als groß, wie rebellisch und kämpferisch nun das Positionspapier, das Pamphlet, die Resolution zum CSD Darmstadt 2015 aussehen wird! Was fordert die
Darmstädter Bewegung? Wie hart sind ihre Worte? Welche Alternativen sehen sie zu "bunten Umzügen" und unauffällig zurückhaltenden Umarmungs-Events am
IDAHOT? (<-- ja, man darf durchaus selbstkritisch sein). Wie kann aus einer Luftballons-und-liebe-Aufkleber-Community, die nur noch positive Botschaften formulieren und alle mitnehmen
möchte, endlich wieder eine Bewegung werden, die mit schlagkräftigen Aktionen und neuen Protestformen endlich mal Transphobie und Homophobie in den Arsch tritt?
Und dann wurde der Text diese Woche veröffentlicht
Ich habe mir das durchgelesen und dachte so: Puuuuh... Talking about a Revolution ist dann doch irgendwie anders. Nach einer leicht hysterischen Einleitung informiert das Papier über die
Diskriminierungs-Dauerbrenner: Adoption, Gleichheitsartikel, Homophobie und Transphobie allgemein.
Zudem wird ganz aktuell auf die sich formierende Protestgemeinde von "besorgten" Fundamental-Arschlöchern eingegangen und erfreulicherweise auch Diskriminierung innerhalb der Community gestreift.
Auch, dass eine der vielen Unzumutbarkeiten des Transsexuellengesetzes kritisiert werden, ist positiv zu bewerten.
Dennoch! Mir fehlt da ein bisschen der Bums!
Gefordert werden gleiche Rechte, Akzeptanz und Vielfalt.... Erst gegen Ende wird es dann doch ein wenig handfester: Aktiver Widerstand, Gegendemos und Protest. Aber wirklich unterscheiden tut
sich das von dem was wir in den letzten Jahren gemacht haben auch nicht.
Obwohl solche Sätze fallen wie "Diesen Zustand nehmen wir nicht hin!" und "Wir [...] beweisen, dass wir tatsächlich anders
können" bleibt der Text diesen Beweis am Ende doch schuldig. Mit der Ankündigung "politische Ankündigungen und Versprechungen kritisch [zu] verfolgen"
lehnt man sich nicht besonders weit aus dem Fenster. Wo sind die harten Konsequenzen, die wir ziehen müssen? Was passiert denn, wenn wir kritisch verfolgt haben?
Nach meiner Ansicht steckt in dem Motto Wir können auch anders sehr viel mehr als der Text hergibt.
Wir können auch anders heißt: Wir können auch mehr als bunte Luftballons und fröhliche Straßenfeste für die ganze Familie.
Wir können auch anders heißt für mich, dass wir jetzt endlich mal aufhören, unsere Empörung über homophobe_transphobe Talkshowgäste nur ins Sofakissen zu grummeln. Stattdessen sollten wir alle Mittel nutzen, Sendungen lahmzulegen in denen Hass eine Bühne gegeben wird.
Wir können auch anders heißt für mich, dass wir die "Besorgten" stören wo es nur geht. Es bedeutet ihre Demonstrationen zu verhindern, es bedeutet ihre Strukturen kleinzuhauen, ihre
Webseiten zu hacken und ihre Führungsebene zu schwächen.
Wir können auch anders heißt für mich, jede menschenfeindliche Kolumne in der FAZ mit sehr vielen Anrufen in der Redaktion zu beantworten.
Wir können auch anders heißt für mich, Wahlkampfplakate von homophoben_transphoben Politiker_innen aus unseren
Straßen zu verbannen.
Wir können auch anders heißt für mich, kreativ sein und neue Wege des Protests und des Widerstands finden. Und der CSD Darmstadt 2015 ist die Plattform hierfür. Es wird immer klarer, dass es
nicht mehr ausreicht, einmal im Jahr mit einem Schild in der Hand einen CSD mitzulaufen und zu glauben dass sich der Rest von alleine regelt.
Ich finde, wir sollten uns alle gemeinsam Gedanken machen, was das diesjährige Motto für uns bedeutet und wie wir unseren Forderungen Nachdruck verleihen können. Der CSD Darmstadt trifft meiner
Meinung nach einen Nerv und es wäre fatal das Potenzial in diesem Motto nicht auszuschöpfen. Es muss ja nicht immer alles schrill und krawallig sein - Ich kann schließlich auch anders!
Liebe Aktivist_innen des CSD Darmstadt: Lasst das Potenzial eures Mottos nicht verpuffen! Eine Veranstaltung zu alternativen Protestformen, ein Workshop, eine Podiumsdiskussion, ein Thinktank.
Irgendwas muss drin sein.
Kommentar schreiben