Club der toten Clubs

Freitagabend, alle sind besoffen, keiner kann mehr fahren, wir wollen aber noch so riiiichtig hochkarätig tanzen. Das war in den letzten Jahren nie ein großes Problem. Meine Göttin, was hatten wir Auswahl! Das partyamt.de war voll mit tollen Sachen wo man selbst mit 3 Atü auf'm Kessel noch locker in einer halben Stunde hintorkeln konnte. Uns stand die Nachtwelt offen!


Die erste Wahl war bei mir - was sonst - der Schlosskeller. Hier hab ich mir schon damals Sonntagnachts bei der S&L-Disko das Abi versaut und auch an den anderen Wochentagen viel für meine Zukunft getan. 

Genauso wie im 603. Damals, dienstagabends, draußen: Gaffen und begafft werden. Ein großer Traum aus Bier und dem ganz neu erfundenen Hip-Getränk "Spritz Aperol". Ach du liebe Zeit! Wo bist du geblieben?
Da ich die größtenteils mein Taschengeld und später mein Gehalt und meine Gagen in diesen beiden Locations versoffen habe, ist mir wohl nicht aufgefallen, was schon immer geschieht und Menschen die Herzen bricht: Das Absterben von Clubs. Erst jetzt, wo ich quasi selbst eine Betroffene bin und am Wochenende regelmäßig unter Tränen der Verzweiflung kollabiere, weil momentan einfach alles zu schwierig ist, wenn man einfach nur mal bequem irgendwo abstürzen will, muss ich mal ein paar Worte verlieren:

Zu Schrill und Laut im Schlosskeller, zum Clubsterben, zu der Art, wie wir unser Geld ausgeben.

Gibt jemals wieder Schrill und Laut?

Ich habe lange nichts dazu gesagt. Und das obwohl ich eine Plaudertasche bin und wirklich seit Wochen kaum ein Tag vergeht ohne dass jemand mich fragt:
"Wann macht der Schlosskeller wieder auf?"
"Findet die Schrill und Laut wirklich statt?"
"Warum dauert das so lange?"
"Ist der Architekt von Elbphilharmonie, BER und schlosskeller der gleiche?"
"Wo soll ich heute Abend hin?"
"Was trägst du drunter?"
"Wieso sagt ihr die Partys immer so spät ab?"

Die Sache ist die: Ich hab auf die meisten Fragen keine Antwort. Und ich weiß auch nicht, wer diese Fragen beantworten könnte.
Als ich vor einem Jahr erfahren habe, dass das Schloss renoviert wird, war geplant, dass der Schlosskeller ab Anfang Juli für drei Monate geschlossen bleiben muss. Pünktlich zum Beginn des Wintersemesters am 15. Oktober sollte es dann großes Re-Opening geben. Da wir im August sowieso CSD hatten, fand ich das nicht tragisch. Wir haben sogar über ein Open Air Event für den September nachgedacht, sodass die Umbaupause vollkommen schadlos an allen vorüber geht. Relativ bald war dann klar: Die Baustelle wird da länger sein. Oktober und November werden wohl nix werden. Richtig Events geplant haben wir dann erst für Dezember. Da waren wir uns auch ganz sicher, dass die Türen vom Schlosskeller auf jeden Fall wieder auf sind. Es gab sogar einen Artikel zur geplanten Wiedereröffnung des Kellers im Echo, weil sich alle so sicher waren. Dann plötzlich musste unsere legendäääre Schrill und Laut Weihnachtsparty abgesagt werden. Dabei hatte ich die alleseits beliebten mobilen Mistelzweige schon gekauft!

Ihr könnt euch nicht vorstellen, was das für ein Gefühl ist. Nach langer Pause waren wir voll motiviert und hatten richtig Bock wieder Schrill und Laut zu machen. Und dann ist die Bude nicht fertig! Nach einem Tag Schmollen unter herzzerreissend lauten Stoßseufzern hab ich mich dann um eine Alternative bemüht. Einfach weil ich wusste, wie viele Leute sich so sehr gefreut haben und nun so schlimm enttäuscht sein werden. Schnell hat die Galerie Kurzweil zugesagt. Die hatten sofort Lust! Ich war im Himmel. Und auch ziemlich dankbar.
Wir haben also eine alternative Veranstaltung in der Kurzweil gemacht, am gleichen Tag zur gleichen Zeit. Es war ein tolles Experiment. Aber im Januar sollte es wieder im Schlosskeller weiter gehen. Nun aber wirklich!

Ich war schon bei schöneer im Studio, wir haben einen tollen Mugshot für die Werbung zu Schrill und Laut - Unzuchtanstalt gemacht, alles lief und langsam kam auch die Lust wieder auf den neuen Schlosskeller, da haut uns dieser verdammte Umbau schon wieder eins unten rein. Während nebenan das Unigebäude in dem künftig das 603qm untergebracht sein wird, eine Etage auf die andere erhält und Formen annimmt, scheint das Schloss seine Form zu verlieren. Also wieder: Galerie Kurzweil anrufen und noch mal auf eine ebenso großartige Party hoffen, die ein bisschen über den Verlust des Kellers hinweg tröstet. Und das innerhalb nur einer Woche. Die Unzuchtanstalt haben wir überdies einfach auf den nächsten Termin verlegt. Der arme DJ Andy tat mir schon ganz leid: Seit Dezember ständig angefragt und immer wieder auf den nächsten Monat geschoben... Nun also Februar.

Bei einem Vorbereitungstreffen drei Wochen vor der Veranstaltung hab ich in einem Uni-Flur das neue Plakat hängen sehen. Bereits mit überklebtem Datum. Das hat Mut gemacht. Wir haben uns besprochen und Pläne gemacht und uns nette Sachen ausgedacht für die Gäste. Wir wollten mit einem großen Knall zurückkehren. Endlich!
Einen Tag nach diesem Treffen wiederholte sich urplötzlich die Hiobsbotschaft: Der Schlosskeller bleibt bis auf Weiteres auch im Monat Februar geschlossen. Nichts mit Unzuchtanstalt, nix mit Schrill, nix mit Laut. Unsere Pechsträhne hält an.

Also heißt es nun wieder: Alternativen suchen und finden. Sich damit auseinandersetzen, dass viele Menschen genervt und enttäuscht sind und sich damit abfinden, dass man nicht nur machtlos ist gegenüber den Umständen, sondern auch gegenüber Spott und Gerüchten. Geschenkt. 

Wir werden am 19. Februar wieder No Gender, Baby in der Galerie Kurzweil feiern. Kommt alle vorbei, schaut es euch an und macht mit! Der Schlosskeller wird wieder aufmachen und dann gibt es auch wieder Schrill und Laut. Aber bis dahin machen wir eben erst mal was anderes - all night long!

Gestorben wird immer

Die Lebensdauer von Clubs ist übrigens in etwa die von Meerschweinchen. Sie sterben oft viel zu früh, wenn allerhand schief läuft ist manchmal schon nach einem Jahr Schluss. Allein in den paar Jahren in denen ich mich auf den Darmstädter Tanzflächen getummelt habe, sind dermaßen viele Clubs eingangen, dass ich kaum noch die Namen zusammen bekomme. Wer erinnert sich eigentlich noch an LP 6, Room 106 und Cinderella? Wer war nicht schon mal in der Holzstraße im Hippo, Caribe, Hollywood, Neutral, Kingz Club? Trauern nicht immer noch Leute den ganzen anderen Läden hinterher? Nachtcafé, Extasis, Orange, Level 6, Das Stella? Ganz zu Schweigen von Rabe, Blumen, Magenta, Plan B, Nice People Club, Waben, Cielo, Kukucksnest, Stairs, Roof und wahrscheinlich etlichen anderen Dingern von denen ich nie gehört habe...

Mich hat die Schließung der meisten Clubs eher nur so lala interessiert. Wie gesagt, ich war meistens im Schlosskeller und nur selten mal im 603 und in der Krone. Und besonders letztere gilt als unverwüstlich. Aber die gleichzeitige baubedingte Schließung von 603 und Schlosskeller hat auch meinem ganz persönlichen Nachtleben vorübergehend den Kopfschuss gegeben.

Gönnt euch!

Es ist wirklich verrückt. Nie haben in dieser Darmstadt mehr Studierende gelebt als heute. Und ich habe das Gefühl, dass es zur gleichen Zeit nie weniger Quadratmeter an Tanzfläche für all diese Massen gab.
Wo gehen die Süßen eigentlich hin, wenn sie mal einen Moment lang von ihrem Bachelorstudiumtrotzvollzeitjobwegenderhohenmieten verschnaufen wollen? Man sieht sie nicht!
Ich könnte gut damit leben, wenn die Leute eben einfach in Frankfurt, Mainz, Wiesbaden oder meinetwegen Mannheim auf ultraangesagte Partys gehen würden. Oder wenn es in Darmstadt einfach Geheimpartys gäbe zu denen ich nicht eingeladen werde, weil ich nicht cool, sexy und angesagt genug bin. Aber ich habe einen bösen Verdacht: Ihr geht am Wochenende nicht mehr feiern!

Liebe Menschen! Es ist nie zu spät, noch mal vom Sofa aufzustehen um ein Bier zu kippen, keine Netflix-Produktion ist es wert, ein paar Stunden Spaß und echtes Leben auf der Tanzfläche dafür sausen zu lassen und selbst mit dem kleinsten Bafög im engsten Monat lässt sich immer noch mal was zusammen kratzen, das man mit vollen Händen ausgeben und abfeiern kann. Schon morgen kann euer Lieblingsclub zu machen!

Wir leben doch nur einmal. Gönnt euch!


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