Nenn mich nicht Drag

Es gibt in der Welt der Travestie eine Sache, die um sich greift und mich schon immer ein wenig gestört hat. In Ankündigungstexten für Events, als Titel von Shows oder einfach wenn man über sie redet: Travestiekünstlerinnen und Drag Queens werden zunehmend nur noch "Drags" genannt. Und das ist nicht nur die Art und Weise, wie andere uns bezeichnen. Die Kolleginnen und Genossinnen sprechen vollkommen selbstverständlich von "Drags" wenn sie über sich reden. Ich weigere mich zu glauben, dass das schon immer so war. Und ich glaube, dass ich das nur im deutschsprachigen Raum sehe, nicht jedoch im englischsprachigen Raum.

Nach meinem Verständnis und ich kann da auch vollkommen falsch liegen ist drag das, was du anziehst. Dein Fummel also.
Und somit ist es doch ein bisschen komisch, wenn jemand drag sagt und nicht nur den Fummel meint, sondern auch die aufgebrezelte Schwester die drin steckt. Es gibt einen nicht zu verachtenden Unterschied zwischen doing drag und being a drag.

 

Eine weitere Bedeutung von drag, die nicht so supergeläufig sein dürfte, ist zu übersetzen mit "Langweiler" (a boring or tiresome person or thing, Oxford Dictionary). Dabei stellte Lady Gaga schon 2011 klar: Don't be a drag, just be a queen. Ich hab in der Vergangenheit viele Kolleginnen kennengelernt. Ja, da ist auch die eine oder andere drag dabei. Aber alles in allem lassen die meisten Performances und Unterhaltungen keine Langeweile aufkommen.

Dank RuPaul's Drag Race sind selbst die absoluten Jungfrauen in der Travestieszene schon vor ihrer ersten Nacht in drag bestens informiert bezüglich des US-amerikanischen Drag Queen Vokabulars und seiner geistreichen bis sinnbefreiten Phrasen. Wie oft stand ich schon mit jungen Dingern hinter der Bühne, die bei passendem Anlass die besten Zitate der letzten Staffeln raushauen. Teilweise hat man das Gefühl einem Reenactment einer bestimmten Episode beizuwohnen. Ganz ohne Zweifel haben viele dieser Begrifflichkeiten auch für uns in Europa eine Bedeutung und Tradition. Bei den deutschen Tunten gehört es seit gut 100 Jahren zum guten Ton, untereinander eine liebevolle Garstigkeit zu leben. Reading, being shady und throwing dust (No T, no shade!) sind auch Teil der tuntischen Kultur. Nur gab's dafür halt bisher keine schicken Slogans All T, all shade.

Es ist aber auch nicht einfach. Die Sprache, die bei RPDR gesprochen wird, ist eindeutig die Sprache aus der Dokumentation Paris is Burning (1990) über die New Yorker Ballroom-Szene. Seither kamen viele Zitate aus dem Film in RuPauls Liedern und als Elemente von RuPaul's Drag Race vor, sodass sie bis zu uns herüber geschwappt sind. Gleichzeitig bringen alle Teilnehmerinnen ihre eigenen Phrasen mit, denen man sich teilweise kaum entziehen kann. Folge für Folge verändert sich also der Drag Queen-Wortschatz. Und manchmal sagen mir junge Schwestern Sachen, die ich dann schnell heimlich nachschlagen muss. Zum Glück gibts dafür eine Wiki mit RPDR dictionary (Halleloo!). Schaut man da aber mal rein, bemerkt man, worauf ich eigentlich auch die ganze Zeit hinaus wollte: Auch da steht der Begriff drag nie allein.

Ich will mich noch mehr in eine kühne Behauptung versteigen: Die Teilnehmerinnen bei Rupaul's Drag Race haben für sich viele Namen: bitch, gurl, sis, queen, ho, momma, loca, heather, judy... Aber in keiner Episode, in keiner Season von Rupaul's Drag Race hat auch nur eine Teilnehmerin oder ein Jury-Mitglied jemals drag gesagt, wenn Drag Queen gemeint war. That’s the Tea.

 

Wenn man also von "Drags" auf einer "Drag Show" redet, dann wird das bei manchen Leuten eher die Assoziation einer Fummelshow mit schlimmer Besetzung hervorrufen. Denke ich an so einige Schlager Trash Shows zum Darmstädter Heinerfest, Patsy l'Amour laLoves grandiose Polymorphia im SchwuZ oder andere Tuntenschauen, denen ich schon beigewohnt habe, dann kann das wohl sehr zutreffend sein. Oftmals ist aber gerade das Gegenteil gemeint.

 

Man kann viel über die Bedeutungen des Begriffs drag und damit die Etymologie von drag queen streiten. Die überholte Geschichte mit der Shakespeare-Regieanweisung (dressed as girl) bringt mich immer wieder gerne zum Gähnen.
Wenn ich in ausgesprochenen Drag Queen-Kontexten, die sich vom Tuntentum und klassischer Travestie abgrenzen, mitbekomme, dass sich eher der zeitgenössischen Sprache und Kultur US-amerikanischer Drag Queens zuwandt wird, dann wundere ich mich doch, weshalb die Selbstbezeichnung so unvorteilhaft abgekürzt wird. It's a drag...

Die meisten Schwestern mit perfektem Contouring, großen Kleidern und doppelt verdichteten lace front wigs, die auf Partys und Shows ihr charisma, uniqueness, nerve & talent unter Beweis stellen, sind doch eher Königinnen als Langweilerinnen.

In diesem Sinne: Don't be a drag, just be a queen.


P.S.

Entgegen der Überschrift dürft ihr mich weiterhin nennen, wie ihr wollt. Ich bin und bleibe immun gegen jedwede Garstigkeit und kann auch eine shady bitch sein. #rolodexofhate #sorryboutit